Steillagen-Weinbau ist erlebbare Geschichte. Nahezu jeder Weinberg birgt seine ganz eigenen Zeugnisse der Vergangenheit, die es zu entdecken gilt. Die Bewirtschaftung der Steillagen hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert und ist nach wie vor von schweißtreibender Handarbeit geprägt.
Gleichzeitig ist diese menschengemachte Kulturlandschaft Rückzugsgebiet seltener Tiere und Pflanzen, stellt somit eine einzigartige Biosphäre mit einer vielfältigen Flora und Fauna dar.
Jahrhundertealte Tradition.
Aus Masse wird Klasse.
Der Weinbau in Württemberg geht vermutlich bis in die römische Zeit zurück. Die ersten Terrassierungen der Rebflächen werden zwischen dem ausgehenden 10. und dem 13. Jahrhundert datiert. Eine beeindruckende technische Leistung der mittelalterlichen Landkultivierung, geht es doch nicht alleine um den Bau von Trockenmauern, sondern um die generelle Erschließung, die Wasserführung, den Bau von Unterständen, Häuschen und Treppenanlagen. Treibende Kraft dahinter waren insbesondere die Klöster.
Als die Bevölkerung im ausgehenden Mittelalter immer weiter wuchs, wurden alle Ackerflächen für die Ernährung gebraucht. So war in Württemberg der Weinbau durch die Obrigkeit im 16. Jahrhundert im Flachland verboten. „Wo ein Pflug kann gehen, darf kein Rebstock stehen“. Der Terrassenweinbau erlebte in dieser Zeit seine Blüte. So wird in dieser Zeit von rund 45.000 ha Fläche ausgegangen.
Kriege, verstärkter Bierkonsum, Mehltau und Reblauskrise führten bis Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem steten Niedergang des Terrassenweinbaus. Hinzu kam der oft unwirtschaftliche Betrieb aufgrund kaum nutzbaren Maschineneinsatzes. Inzwischen unterstützen Genossenschaften, Verbände und Lehranstalten diese Art des Anbaus und tragen zum Erhalt eines einzigartigen kulturellen Erbes bei. Heute wird im Landkreis Ludwigsburg der Steillagen-Weinbau, der echte Premiumweine hervorbringt, auf etwa 316 ha betrieben.
Leidenschaft und Handarbeit.
Für herausragende Weine.
Auch im Weinbau geht es letztlich um die Rentabilität. Im Terrassenweinbau muss gegenüber dem vollmechanisierten Anbau mit etwa dem zehnfachen Zeiteinsatz je Hektar und Jahr gerechnet werden. Dies liegt zum einen daran, dass nahezu alle Arbeitschritte von Hand ausgeführt werden müssen, zum großen Teil jedoch an der arbeitsintensiven Erhaltung der Trockenmauern. Steillagen-Weinbau ist meist Familiensache. Das besondere Wissen und die Leidenschaft werden seit Generationen weitergereicht.
Terroir, wärmespeichernde Trockenmauern und die intensive Sonneneinstrahlung aufgrund der steilen Lagen ‒ meist direkt an Flüssen wie Neckar und Enz ‒ bilden ein ganz besonders Mikroklima, welches den Trauben zugutekommt. Traditionell steht der Trollinger mit rund 90% in den Steillagen. Daneben werden Riesling, Lemberger und seltener auch Blauer Spätburgunder angebaut.
Mittlerweile sind aufgrund des Klimawandels und sich ändernder Verbraucheransprüche auch andere Sorten wie Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Shiraz oder auch Chardonney stark im Kommen. Nicht zuletzt die hinter den Weinbauern stehenden Genossenschaften fördern zahlreiche Projekte, um die Zukunft des Terrassenweinbaus zu sichern. Neben den Sorten steht dabei immer auch die ausgezeichnete Qualität der Steillagen-Weine im Fokus.
Eine eigene kleine Welt entdecken.
Die Flora und Fauna.
Die Winter in den Steillagen sind kürzer, das Mikroklima deutlich milder als in der Umgebung. So findet sich in den Hängen bereits im zeitigen Frühjahr mit der Stinkenden Nieswurz eine Verwandte der Christrose. Auch Schafgarbe, Flockenblume, Skabiosen bis hin zu Knabenkräuter als Verteter wilder Orchideen sind hier heimisch. Als Besonderheiten gelten die leuchtend blau blühende und intensiv duftende Weinberg-Traubenhyazinthe oder auch der Scharfe Mauerpfeffer ‒ ein echter Überlebenskünstler, der auch mal direkt an den Mauersteinen auftretende Temperaturen von bis zu 60°C standhält.
Daneben finden sich viele Gewürz-, Heil- oder auch alte Färbepflanzen. An den Randflächen wachsen Salbei, Wermut, Lavendel oder auch Melisse. Aus dem Waid wurde bis ins 19. Jahrhundert Indigoblau gewonnen, Gelb lieferten die Färberkamille und die Wilde Resede.
Doldenblüter wie die Wilde Möhre geben dem seltenen Schwalbenschwanz Nahrung. Auch andere Schmetterlinge und Falter finden in den Steillagen optimale Bedingungen, so sind hier Pfauenaugen, Bläulinge, Bären und Eulen anzutreffen, genauso wird der seltenen Mauerbiene das passende Refugium geboten. Und die elegante Mauereidechse liebt die wärmenden Trockenmauern, die gleichzeitig
mit reicher Nahrung aufwarten.