Steillagen-Weinbau ist erlebbare Geschichte. Nahezu jeder Weinberg birgt seine ganz eigenen Zeugnisse der Vergangenheit, die es zu entdecken gilt. Die Bewirtschaftung der Steillagen hat sich über die Jahrhunderte kaum verändert und ist nach wie vor von schweißtreibender Handarbeit geprägt.
Gleichzeitig ist diese menschengemachte Kulturlandschaft Rückzugsgebiet seltener Tiere und Pflanzen, stellt somit eine einzigartige Biosphäre mit einer vielfältigen Flora und Fauna dar.
Jahrhundertealte Tradition.
Aus Masse wird Klasse.
Der Weinbau in Württemberg geht vermutlich bis in die römische Zeit zurück. Die ersten Terrassierungen der Rebflächen am Neckar begannen etwa ab dem 11. Jahrhundert. Der Großteil der terrassierten Steillagen entstand vermutlich zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert, als die ebenen Landwirtschaftsflächen aufgrund des Bevölkerungswachstums dem Ackerbau vorbehalten blieben („Wo ein Pflug kann gehen, darf kein Rebstock stehen“).
Im Dreißigjährigen Krieg wurde ein großer Teil der Weinbauflächen zerstört und nur teilweise wieder aufgebaut. Dennoch war der Weinbau ein wichtiger Einkommensfaktor für fast alle der am Neckar und der Enz ansässigen Dörfer.
Die Weinbau-Flurstücke in den Steillagen wurden in den Familien von Generation zu Generation weitergegeben. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich die Wertschätzung der Weinbergterrassen. Steigende Arbeitskosten, die Mechanisierung des Weinbaus und der hohe Arbeitsaufwand zur Erhaltung der Trockenmauern machten die Handarbeit in der Steillage immer unattraktiver. In der Folge wird zunehmend die Bewirtschaftung der Lagen aufgegeben. Die brachgefallenen Terrassen verbuschen und die wertvollen Trockenmauern verfallen.
Durch ein ganzheitliches Konzept mit verschiedenen Maßnahmen soll dieser Entwicklung entgegengewirkt werden. Ziel ist es, die historische Kulturlandschaft der Weinbergsteillagen in unserer Region soweit möglich zu erhalten.
Leidenschaft und Handarbeit.
Für herausragende Weine.
Mauersteillagen-Weinbau erfolgt in reiner Handarbeit, da die maschinelle Bewirtschaftung weitgehend unmöglich ist. Im Terrassenweinbau muss gegenüber dem vollmechanisierten Anbau in der Flachlage mit einem drei- bis fünfmal höheren Arbeitszeitaufwand (500 – 1.500 h/ha) gerechnet werden. Hinzu kommt die arbeitsintensive Erhaltung der Trockenmauern. Steillagen-Weinbau wird meist von Hobby- bzw. Kleinst-Wengertern aus familiärer Tradition oder Überzeugung betrieben.
Das besondere Terroir, wärmespeichernde Trockenmauern und die intensive Sonneneinstrahlung aufgrund der steilen Lagen ‒ meist direkt an Flüssen wie Neckar und Enz ‒ bilden ein ganz besonders Mikroklima, welches den Trauben zugutekommt. Traditionell steht derzeit zu fast 90 % der Trollinger in den Steillagen. Daneben werden Riesling, Lemberger und seltener auch Blauer Spätburgunder angebaut.
Mittlerweile sind aufgrund des Klimawandels und sich ändernder Verbraucheransprüche auch andere Sorten wie Merlot, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Shiraz oder auch Chardonnay stark im Kommen. Nicht zuletzt die hinter den Weinbauern stehenden Genossenschaften fördern zahlreiche Projekte, um die Zukunft des Terrassenweinbaus zu sichern. Neben den Sorten steht dabei immer auch die ausgezeichnete Qualität der Steillagen-Weine im Fokus.
Eine eigene kleine Welt entdecken.
Die Flora und Fauna.
Die Winter in den Steillagen sind kürzer, das Mikroklima deutlich milder als in der Umgebung. So findet sich in den Hängen bereits im zeitigen Frühjahr mit der Stinkenden Nieswurz eine Verwandte der Christrose. Auch Schafgarbe, Flockenblume, Skabiosen bis hin zu Knabenkräuter als Verteter wilder Orchideen sind hier heimisch. Als Besonderheiten gelten die leuchtend blau blühende und intensiv duftende Weinberg-Traubenhyazinthe oder auch der Scharfe Mauerpfeffer ‒ ein echter Überlebenskünstler, der auch mal direkt an den Mauersteinen auftretende Temperaturen von bis zu 60°C standhält.
Daneben finden sich viele Gewürz-, Heil- oder auch alte Färbepflanzen. An den Randflächen wachsen Salbei, Wermut, Lavendel oder auch Melisse. Aus dem Waid wurde bis ins 19. Jahrhundert Indigoblau gewonnen, Gelb lieferten die Färberkamille und die Wilde Resede.
Doldenblüter wie die Wilde Möhre geben dem seltenen Schwalbenschwanz Nahrung. Auch andere Schmetterlinge und Falter finden in den Steillagen optimale Bedingungen, so sind hier Pfauenaugen, Bläulinge, Bären und Eulen anzutreffen, genauso wird der seltenen Mauerbiene das passende Refugium geboten. Und die elegante Mauereidechse liebt die wärmenden Trockenmauern, die gleichzeitig
mit reicher Nahrung aufwarten.
Besonderheiten
der Kulturlandschaft
Der Steillagenweinbau zeichnet sich durch besondere Elemente und Strukturen aus. Für die Terrassen sind Mauern notwendig. Diese wurden in Trockenbauweise über Jahrhunderte hinweg immer wieder repariert oder neu errichtet. Zur Erschließung und zur Wasserabführung dienen steile Treppen, die Staffeln („Stäffele“). Weitere typische Elemente in historischen Terrassenweinbergen sind Unterstände, Ruhebänke, Flurhüter- und Weinberghäuschen.
Die terrassierten Mauersteillagen im Landkreis unterliegen verschiedensten Schutzkategorien: Biotopschutz für die Trockenmauern, Landschaftsschutzgebiete, Denkmalschutz. Flächen befinden sich teilweise auch in Naturschutzgebieten.
Daten und Fakten
Der Weinbau hat im Landkreis Ludwigsburg eine lange Tradition und dadurch eine große Bedeutung. Von den 11.330 ha Weinbaufläche in Württemberg liegen 2.055 ha im Landkreis (Stand 2021) – immerhin rund 18 %. Knapp 160 Weinbaubetriebe und sechs Weingärtnergenossenschaften produzieren im Landkreis hochwertige Weine.
Eine Besonderheit ist, dass der Landkreis Ludwigsburg bundesweit die höchsten Flächenanteile an terrassierten Weinbausteillagen aufweist. Im Allgemeinen versteht man unter „Weinbausteillage“ einen Weinberg mit Trockenmauern und Terrassen, der nicht oder nur sehr eingeschränkt mit Fahrzeugen befahren werden kann.
Weinbaurechtlich gelten Flächen mit einer Hangneigung von über 30 % als Steillagen – unabhängig davon, ob Mauern vorhanden sind oder nicht. Als „sehr steil“ werden Weinberge mit einer überwiegenden Hangneigung von mindestens 45 % bezeichnet.
Im Landkreis Ludwigsburg werden laut Weinbaukartei noch ca. 305 ha terrassierte Steillagen bewirtschaftet (rund 50 ha weniger als noch vor 10 Jahren). Insgesamt gibt es im Landkreis ca. 365 ha abgegrenzte Steillagen. Im Vergleich dazu: in Württemberg gibt es rund 800 ha abgegrenzte Steillagen (Stand 2015).